Cabaret Berlin Musical im Tipi am Kanzleramt
Wohl kein anderes Stück spiegelt so den Geist der späten Zwanziger und frühen Dreißiger Jahre in Berlin wider, wie das Musical Cabaret. Welcher Musical Liebhaber kennt sie nicht, die inzwischen weltweit bekannten Songs „Life is a Cabaret“, „Maybe This Time“, „Money-Money“, „Mein Herr“, „Willkommen, Bienvenue, Welcome“ …
Jetzt kehrt das Stück wieder vom 11. Juli bis zum 1. Oktober 2023 zurück in die Stadt. Das Tipi am Kanzleramt verwandelt sich in den verruchten Kit Kat Klub und in die schmuddelige Pension des Fräuleins Schneider und nimmt den Besucher mit in diese legendäre Zeit des Umbruchs.
Unsere Kulturredakteurin Susanne Johannes hat die Show am 13. Juli besucht. Ob die Story von Sally Bowles und Cliff Bradshaw die Zuschauer immer noch von den Sitzen reißt, erfahren Sie in unserem Beitrag in der Rubrik „Kunst und Kultur“.
Das TIPI AM KANZLERAMT präsentiert: CABARET – Das Berlin-Musical Eine wahre Berliner Geschichte
Seit 2004 wird das Berlin Musical schlechthin während der Sommermonate aufgeführt. In den ersten Jahren ist die „Bar Jeder Vernunft“ der Schauplatz des Stücks. Doch bald wurde diese Spielstätte zu klein und es erfolgte der Umzug in das größere Tipi am Kanzleramt. Inzwischen haben mehr 300.000 Zuschauer mit den Akteuren um Sally Bowles mitgefeiert und mitgelitten – bis zum bitteren Ende.
Die Cabaret Besetzung 2023
Es singen, tanzen und spielen auf der Bühne für Sie:
Sally Bowles: Maria-Danaé Bansen · Lara Hofmann · Paulina Plucinski · Linda Rietdorff
Clifford Bradshaw: Alexander Donesch · Samuel J. Schaarschmidt · Luca Schaub · Lukas Strasser
Conférencier: Florian Stanek · Oliver Urbanski
Fräulein Schneider: Cornelia Drese · Regina Lemnitz · Barbara Schnitzler
Herr Schultz: Peter Rühring · Dirk Schoedon
Fräulein Kost: Johanna Asch · Jacqueline Macaulay · Anna Overbeck · Julie Wolff
Ernst Ludwig: Torsten Stoll · Luca Schaub
Bobby / Matrose: Lukas Baeskow · Julian Bender · Dennis Hupka · Samuel J. Schaarschmidt
Max / Matrose: Ralf David · Daniel Sellier
Kit Kat Klub Girls (Helga, Mausi, Lulu und Frenchie): Kiara Brunken · Sarah Fleige · Alexander Findewirth · Lara Hofmann · Robert Lankester · Carolin Schönemann · Cindy Walther · Julie Wolff · Marion Wulf
Die Cabaret Band
Schwungvoll und ganz im Stil der Zwanziger Jahre werden die Sänger und Tänzer von der Band in folgender Besetzung begleitet:
Piano / Toypiano / Akkordeon: Jörg Daniel Heinzmann · Damian Omansen (musikal. Leiter)
Violine / Singende Säge / Matrose: Dragan Radosavievich · Christian Runge
Posaune / Steel Guitar: Daniel Busch · Friedrich Milz
Kontrabass / Tuba / Triangel: Björn Sickert
Schlagzeug / Glockenspiel / Matrose: Caspar Hachfeld · Julian Kirchmer · Hendrik Havekost
Hinter den Kulissen
Für die Show und Produktion zeichnen verantwortlich:
Künstlerische Gesamtleitung: Lutz Deisinger
Szenische Einstudierung, Spiel & Produktionsleitung: Thimo Pommerening
Musikalische Einstudierung & Leitung: Damian Omansen
Choreographische Einstudierung & Dance Captain: Paulina Plucinski
Kostümbild: Stefanie Krimmel
Maskenbild: Beatrice Steppa
Bühnenbild: Momme Röhrbein
Technische Einrichtung: Dirk Schröder
Licht: Sven Herzel
Ton: Danny Selinger
Termine und Cabaret Tickets
Alle Informationen zu Terminen und Cabaret Tickets finden Sie hier
CABARET- vom Musical zur Verfilmung
Das Musical CABARET entstand 1966 basierend auf den biographischen Romanen Berlin Stories von Christopher William Bradshaw-Isherwood. Die Musik komponierte John Kander und die Liedtexte stammen aus der Feder von Fred Ebb. Nach der Uraufführung im November 1966 im Broadhurst Theatre in New York City lief das Stück sehr erfolgreich bis 1969 auf dem Broadway und wurde mit acht Tony Awards ausgezeichnet.
Seit 1968 erobert das Berlin Musical die Bühnen der Welt. Die deutsche Erstaufführung unter der Regie von Rudolf Schraps war am 18. Januar 1976 an der Staatsoperette Dresden.
Die Verfilmung des Stoffs 1972 unter der Regie von Bob Fosse mit geänderter Handlung und zusätzlichen Liedern machte das Musical weltberühmt. Liza Minelli schlüpfte in die Kleider der Sally Bowles und spielte die Rolle ihres Lebens. Der Cabaret Film gewann acht Oscars, unter anderem in den Rubriken: Beste Hauptdarstellerin, Bester Nebendarsteller, Beste Regie, Beste Kamera, Beste Filmmusik.
Die Story
Berlin Ende der Wilden Zwanziger Jahre. Der Tanz auf dem Vulkan wird immer ekstatischer und wilder. Auf der anderen Seite werden aber auch die Vorboten einer anderen dunklen Zeit immer sichtbarer. Dreh- und Angelpunkt der Geschichte sind die Pension des Fräulein Schneiders und der glamouröse Kit Kat Club. Hier begrüßt der Conférencier jeden Abend seine illustren, Abwechslung suchenden Gäste mit dem inzwischen zum Welthit avancierten Lied „Willkommen, Bienvenue, Welcome“.
CABARET – Die Hauptcharaktere Sally Bowles und Chifford Bradshaw
Die junge gebürtige Engländerin, Sängerin Sally Bowles, ist der Star des angesagten Berliner Tanzlokals und das nicht nur wegen ihrer ausgewiesenen gesanglichen und tänzerischen Talente. Das Revuegirl träumt von einer Karriere als „richtige“ Schauspielerin und lässt sich voller Berechnung auf allerlei Affären mit verschiedenen Verehrern ein. Hauptsache, sie kommt voran und kann das Leben im Rampenlicht in vollen Zügen genießen. Dabei lässt sie kein Vergnügen aus; im Jetzt und Hier – ohne Gedanken an etwaige Konsequenzen.
Der angehende amerikanische Autor Clifford Bradshaw kommt nach Berlin, um Inspirationen für seinen Roman zu sammeln.
Über die Zugbekanntschaft mit dem Nationalsozialisten Ernst Ludwig findet er eine billige Bleibe in der Pension des nicht mehr taufrischen Fräulein Schneider am Nollendorfplatz. Ernst Ludwig ist es auch, der den jungen Schriftsteller am Silvesterabend 1929/1930 mit in den Kit Kat Club nimmt.
Hier begegnen sich das Showgirl und der Schriftsteller. Sally entwickelt eine starke Sympathie für Cliff. Nach ihrer Entlassung aus dem Kit Kat Klub zieht Engländerin zu Cliff in sein Pensionszimmer. Obwohl sie schnell erkennt, dass sich der Autor auch zu Männern hingezogen fühlt, verlieben sie sich ineinander.
Sally Bowles und Chifford Bradshaw
Liebeswirrungen – Was ist los in der Pension des Fräulein Schneider?
Eine weitere Mieterin bei Fräulein Schneider ist das flotte Fräulein Kost. Ihr Zimmer ist Wohnung und Arbeitsplatz zugleich. Es sind im Besonderen die Matrosen, denen sie ihre sexuellen Dienste anbietet und damit ihre Miete verdient.
Als sie von Fräulein Schneider in flagranti erwischt und moralisch zur Rede gestellt wird, macht sie dies der Pensionsmutter auch klar, indem sie androht auszuziehen. Die Konsequenz wäre: Das Zimmer steht leer und es gibt keine Mieteinnahmen. Also soll sie sich einfach nicht mehr erwischen lassen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit.
Der Obsthändler Herr Schultz, ebenfalls Bewohner der Pension, wirbt ausdauernd und schließlich mit Erfolg um die Pensionsmutter Fräulein Schneider. Während der Verlobungsfeier, bei der auch Ernst Ludwig als Gast anwesend ist, kommt heraus, dass Herr Schultz Jude ist. Die Stimmung kippt, die Atmosphäre ist vergiftet und aufgeheizt. Dem kann sich Fräulein Schneider nicht entziehen und die Verlobung wird aufgelöst. Herr Schultz verlässt die Pension und zieht auf die andere Seite des Nollendorfplatzes. Deutschland will er allerdings nicht den Rücken kehren. Er sei ja schließlich ein deutscher Jude. Und das geht schon wieder vorbei mit den Nazis.
Nach diesen verstörenden Vorfällen möchte Cliffort Bradshaw raus aus Deutschland. Sally ist inzwischen schwanger von ihm, weiß aber nicht genau, ob nicht auch ein anderer als Vater in Frage kommt. Nach ihrem Weggang aus dem Kit Kat Klub sind die Besucherzahlen drastisch eingebrochen und nun soll sie dort wieder als der Star auftreten. Blind für die Zeichen der Zeit will sie ihr Leben auf der Showbühne nicht aufgeben. Sie versetzt ihren größten Schatz, den geliebten Pelzmantel und treibt das Kind ohne Cliffs Wissen ab. Den hält nun nichts mehr in Berlin. Er verlässt Deutschland über den Anhalter Bahnhof Richtung Paris. Die Zurückbleibenden gehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Wie wir jetzt wissen, einer dunklen …
CABARET im Tipi am Kanzleramt
Es ist Donnerstag, der 13. Juli 2023. Ein aufziehendes, nicht angekündigtes Gewitter sorgt für Abkühlung. So sind auch die Temperaturen im Tipi am Kanzleramt sehr angenehm. Das habe ich schon ganz anders erlebt, so zum Beispiel beim Besuch einer Vorstellung „12 Jahre 12 Tenors“ im Sommer 2022. An dem Tag mussten Fächer als Klimaanlage herhalten.
Ich bin „Wiederholungstäterin“ und mag die Atmosphäre und Programmgestaltung in dieser Spielstätte sehr. So wollte ich auch das letzte Programm der österreichischen Kabarettisten Lisa Eckhart im letzten Jahr nicht verpassen.
Cabaret – Das Berlin-Musical – Kritik
Auch CABARET habe ich bereits zweimal gesehen, allerdings war das schon vor etlicher Zeit in den Jahren 2011 und 2015. Beide Inszenierungen waren unterschiedlich, aber jede auf ihre Art beindruckend. Deshalb bin ich sehr gespannt, wie die Story im Sommer 2023 umgesetzt wird. Alle guten Dinge sind ja bekanntlich drei.
Die Spielzeit 2023 ist noch ganz jung, erst der dritte Spieltag des Musicals. Das Tipi am Kanzleramt ist gut gefüllt, wenn auch noch nicht ausverkauft. Nachdem das Servicepersonal die letzten Getränke- und Speisebestellungen serviert hat, nimmt die Band Platz an ihren Instrumenten. Gekleidet sind die Musiker allesamt als Matrosen und sollen im Verlauf der Vorstellung auch auf der Bühne im Zimmer des Fräulein Kost Teil der Show werden.
Kit Kat Klub
Der goldene Glitzervorhang bewegt sich. Die Kit Kat Girls bedienen sich einzelner Fransen, um zur Eröffnungsmusik schon mal ihre Arme zu zeigen. Dann geht er auf und der Conférencier eröffnet die Show mit seinem „Willkommen, Bienvenue, Welcome“. Die Zuschauer an den vorderen Tischen werden einbezogen und begrüßt.
Die Kit Kat Girls Helga, Mausi, Lulu und Frenchie haben ihren ersten großen Auftritt, gestaltet als Vorstellungsrunde. Jede hat das gewisse Etwas, das sie von der anderen unterscheidet. Der Tanz ist ganz genau so, wie ich mir einen Showtanz in den Wilden Zwanzigern vorstelle: lasziv, erotisch, temporeich und im Takt von Charleston und Swing.
Der Funke springt sofort über. Umso mehr, als der Star der Vorstellung, Fräulein Sally Bowles, die Bühne betritt. Erst im braven weißen, an eine Schuluniform erinnernden Look, mit Faltenrock, dann sich entblätternd und symbolisch befreiend. Passend dazu singt sie das Lied „Mama darf‘s nicht wissen“.
Zug Paris – Berlin
Szenenwechsel:
Cliff Bradshaw sitzt im Zugabteil. Nahe der französisch-deutschen Grenze, betritt Ernst Ludwig das Abteil. Er ist aufgeregt und schaut sich hektisch um, als er nach einem freien Platz fragt. Sofort versucht er, seine Aktentasche zu verstecken.
Die kurz darauf folgende Pass- und Kofferkontrolle überstehen beide Reisenden unbeschadet. Aber nur, weil der Deutsche seine Tasche in einem unbemerkten Moment in die Ablage über dem Platz des Amerikaners legt und somit unkontrolliert bleibt. Deren Inhalt besteht nicht aus Seidenstrümpfen und anderen Luxusartikeln aus Paris, sondern aus Bargeld, das Ernst Ludwig für die aufstrebende nationalsozialistische Bewegung nach Deutschland schmuggelt.
Die beiden besiegeln ihre Freundschaft und Cliff bekommt die Adresse der Pension von Fräulein Schneider am Nollendorfplatz – seinem Geldbeuten entsprechend: billig und schäbig.
Pension Fräulein Schneider
Fräulein Schneider ist entzückt. Ein Amerikaner, noch dazu Schriftsteller in ihrer Pension. Sie bietet ihm ihr bestes Zimmer an, das sogar mit einem Schreibtisch ausgestattet ist. Die verlangten 100 Mark kann und will Cliff nicht zahlen. Schließlich einigen sie sich auf 50 Mark. Besser die halbe, als gar keine Miete.
Cliff Bradshaw lernt die anderen Mieter kennen. Allen voran Herrn Schultz, der mit Fräulein Schneider mit einem Cognac auf das Neue Jahr 1930 anstoßen möchte. Cliff beschließt, dem Vorschlag von Ernst Ludwig zu folgen und den Silvesterabend im Kit Kat Klub zu verbringen. Dort begegnet er Bobby, den er in einer Bar in Paris kennengelernt hat und der jetzt ebenfalls in dem Amüsierschuppen arbeitet. Und schließlich Sally Bowles. Die bekannte Geschichte nimmt ihren Lauf.
Ich bin mittendrin, fühle und leide mit den Figuren.
Bühnenbild, Beleuchtung, Kostüme
Viele kleine Details schmücken die Szenerie des jeweiligen Ortes der Handlung aus. Besonders beindruckt bin ich von der Umsetzung des Bühnenbildwechsels. Das geschieht nebenbei und scheint zum Geschehen dazu zu gehören. Auch hier wird an Symbolik nicht gespart. So ist die Attrappe des Zuges, mit dem Cliff Bradshaw in Berlin ankommt, noch neutral. Der Zug zurück nach Paris, weg von Deutschland, trägt unübersehbar das Hakenkreuz.
Auch das Licht auf der Bühne und im Zuschauerraum unterstützt die Handlung. Der Glitzervorhang strahlt durch die Beleuchtung noch mehr. Das kreisrunde Spotlight setzt ganz besondere Akzente und den jeweiligen Darsteller in den Mittelpunkt.
Besonders die Kostüme der Kit Kat Girls unterstreichen in Schnitt und Farbe die jeweilige Stimmung. Beim erotischen Tanzen zu Beginn ist die Kleidung bunt, frivol und sexy und die Haare mit Federn geschmückt. Dann tragen die Tänzerinnen oliv-braun und angedeutete Helme auf dem Kopf. Marschmusik erklingt und die Choreographie wechselt zum Stechschritt und gehobenem rechten Arm. Schon irgendwie beängstigend.
Von der fröhlichen, erotisch aufgeheizten Atmosphäre ist nichts mehr zu spüren. Es wird unterschwellig bedrohlich und bedrückend. Auch die Zuschauer bleiben davon nicht unberührt und scheinen plötzlich sehr nachdenklich, ruhig und teilweise in sich gekehrt.
Fazit
Was für eine überzeugende Darstellung und Interpretation dieser verrückten und folgenreichen Ära. Begeisterter Applaus und Standing Ovation des Publikums für die Darsteller sind der verdiente Ausdruck dafür, dass alle einen wahrlich mitreißenden Abend unter dem Zelt des Tipis am Kanzleramt erlebt haben.
CABARET 2023: mein drittes Mal und wieder ganz andere Facetten ein und desselben Stückes. Das Thema ist aktueller denn je. Ich bin begeistert und empfehle einen Besuch des Berlin Musicals ausdrücklich.
Tauchen Sie ein in die Wilden Zwanziger Jahre und lassen Sie sich diese Inszenierung nicht entgehen.
Titelbild: © Barbara Braun / TIPI AM KANZLERAMT
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